Zusammenfassung

 
Buch

Axel Fahl-Dreger, Sabine Hacke, Manfred Hitschfeld, Ralf Vogeding
"Pack die Badehose ein..."

Badeleben in den Landkreisen Diepholz und Vechta
(Veröffentlichungen des Museums im Zeughaus, Stadt Vechta, Band 3)
124 Seiten, zahlr. Abb., Pb., 10,00 Euro
ISBN 978-3-89728-042-7
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Das Schwimmen ist eine Körperübung, die sich bis weit in die Geschichte der Menschheit zurückverfolgen lässt. Wann genau Menschen es lernten, sich schwimmend im Wasser zu bewegen, lässt sich heute nicht schlüssig nachweisen. Die ältesten bekannten Zeichnungen über das Schwimmen wurden - kaum zu glauben - ausgerechnet in der Sahara gefunden. In Lybischen Höhlen fand man Zeichnungen aus der Steinzeit, auf der das Brustschwimmen abgebildet ist.1

In allen Kulturen der Antike, ob die der Griechen, Römer, Germanen, etc. wurde das Baden bzw. Schwimmen besonders geschätzt.

Für den Untersuchungsraum stellt die Nachricht aus dem Vechta des 16. Jahrhunderts den ältesten Hinweis dar. Der Prozess gegen das unzüchtige Baden der Kinder zeigt die Veränderung des moralischen und religiösen Selbstverständnisses im Gegensatz zum Mittelalter auf. Nacktbaden, ohne Bekleidungsregeln und hindernder Moral, entsprach den sinnesfreudigen Auffassungen des 14./15. Jahrhundert. Zum fröhlichen Schwatz, zu Schmaus und Trunk, zum Lautenspiel, Gesang und anschließenden Lustbarkeiten trafen sich damals Badende beiderlei Geschlechts.

Was uns heute durch ein vielfältiges Angebot der Spaß- und Erlebnisbäder mit Gastronomie, Saunen und kulturellen Veranstaltungen wieder sehr vertraut ist, war im 16. Jahrhundert im Rahmen der religiösen Auseinandersetzungen der beiden christlichen Kirchen um eine neue Moral verpönt. Der Aufruhr in Vechta zeigt, dass es aber nicht um Erwachsene sondern um Kinder geht. Bei aller kirchlicher Kritik der Neider und Moralapostel, trotz extremer Preissteigerungen für das Brenn- und Heizmaterial Holz2 und der grassierenden Krankheiten Pest und Syphilis, war das Badevergnügen zumindest für Kinder nicht zu stoppen.

Generell galt für Deutschland aber hinfort für Jahrhunderte eine Blockade des öffentlichen und damit gemeinsamen Badens. Wer sich dennoch im Wasser tummelte, wurde bestraft. Aus dieser Zeit wird berichtet, dass in den Schulen die Knaben mit "Rutenstreichen" gezüchtigt wurden, die der Versuchung des Wasserbadens nicht hatten wiederstehen können.3

Jahrhundertelang wurden nun schlechte Gerüche mit Puder und Parfüm überdeckt. Die Kunst des Schwimmens muß dennoch durch die Überlieferung im gemeinen Volk erhalten geblieben sein, und namhafte Persönlichkeiten forderten weiterhin, das Schwimmen zu lehren.

Wenn im 19. Jahrhundert bei der Gründung der ersten Badeanstalten in den Landkreisen Diepholz und Vechta auf mineral- und schwefelhaltige Quellen (Bassum 1814)4 und sprudelnde Bergquellen (Steinfeld) zurückgegriffen wird, scheint hier das tradierte Wissen im Volk um die medizinische Heilkraft des Wassers über das Baden eine Rolle gespielt zu haben. Wahrscheinlich sind diese wie auch andere Quellen schon seit altersher immer wieder als Badeplätze genutzt worden.5

Der Humanist Nicolas Wynman aus Ingolstadt verfasste 1538 mit seinen "Colymbetes" das erste Schwimmlehrbuch der Welt6. Sein Ziel war jedoch weniger, das Schwimmenlernen als Form der körperlichen Ertüchtigung ins Leben zu rufen, sondern vielmehr der Gefahr des Ertrinkens zu begegnen.7 Dennoch enthielt das Buch Grundsätzliches über die Technik und Methodik des Schwimmens, besonders zur Entwicklung des Brustschwimmens. Auftriebsmittel wie Korkgürtel, Schilfbündel und Rinderblasen werden zu Selbstübungen empfohlen; im 20. Jahrhundert werden, allerdings mit veränderten Grundmaterialien, dafür Blechdosen (siehe Kap. Bruchhausen-Vilsen/Asendorf und Damme), Korkgürtel und Schwimmreifen bzw. Schwimmflügel aus Plastik benutzt. Wassergewöhnungsübungen - die Grundlage heutigen Schwimmunterichts - wurden jedoch nicht gemacht.

Erst Ende des 18. Jahrhunderts begründete der Deutsche Guts Muths aus Schnepfenthal die systematische Schwimmausbildung. In seinem Buch "Gymnastik für die Jugend" widmete er einen bedeutenden Abschnitt dem Schwimmen. Sein "Kleines Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterricht" erschien 1798. Es empfiehlt die Verwendung der sogenannten "Angel" und anderer Trockenschwimmgeräte, wie sie in Twistringen im 20. Jh. auch zur Anwendung kamen8. Guts Muths stellte die Forderung auf, dass das Schwimmen ein "Hauptstück der Erziehung" werden sollte.

Kurz vor dem Erscheinen des "Kleinen Lehrbuchs" war 1793 das erste deutsche See- und Moorbad an der Ostsee in Heiligendamm bei Doberan entstanden. 1797 folgte an der Nordsee Norderney, dass von vielen aus unserem Untersuchungsgebiet in den folgenden Jahrhunderten angesteuert wurde. Das preussische Königshaus des 19. Jahrhunderts ging Baden und begeisterte sich zunehmend für die Marine (siehe Aufrüstung gegen Ende des Jahrhunderts), das Bürgertum entdeckte das Meer als Sommerfrische und die Menschen auf dem Land gingen zunehmend in Flüssen, Bächen, Schlatts u.ä. Badeplätzen dem nassen Vergnügen nach.

1837 wurde in Berlin der erste deutsche Schwimmverein gegründet; 1889 fanden die ersten europäischen Schwimmamateurwettkämpfe in Wien statt und 1896 wurde Schwimmen olympische Disziplin bei den ersten neuzeitlichen Olympischen Spielen. Der Bann in der öffentlichen Meinung war endgültig gebrochen.

In der Entwicklung der ersten Badeanstalten um 1900 in den Landkreisen Diepholz und Vechta lassen sich zwei unterschiedliche Strömungen ausmachen. Zum einen gründeten sich aus der allgemeinen Sportbewegung heraus Schwimm- und Badevereine (z.B. der erste Badeverein im Altkreis Grafschaft Hoya, heute Landkreis Diepholz: 1890 in Bassum), die sich für den Ausbau von Bademöglichkeiten einsetzten. Zum anderen fanden sich Privatleute - wie 1892 in Steinfeld (erste nachweisbare private Anstalt im Landkreis Vechta) -, die auf eigene Kosten eine Badeanstalt anlegten. Mancher Mühlenbesitzer kam in dieser Zeit auf den Gedanken, aus dem bestehenden Mühlenteich noch ein paar Groschen Profit zu ziehen.

Eine schulische Badeanstalt wurde erstmals 1917 in Vechta von den Dominikanern gegründet (Badeanstalt der Missionsschule im Füchtel).

Erste öffentliche Badeanstalten wurden in den 20er und 30er Jahren z.B. in Syke und Diepholz gebaut. Die allgemeinen Freiheitsbestrebungen der Weimarer Republik ("Proletarier aller Länder vereinigt Euch") machten auch vor den öffentliche Badevergnügungen, die sich bis dahin hauptsächlich auf das wohlhabende Bürgertum beschränkten, nicht halt. Alle Bevölkerungsschichten wollten nun an diesem allgemeinen Kultur- und Freizeitgut teilnehmen. Das Baden/Schwimmen wie z.B. auch die Bewegung der Naturfreunde und die Freikörperkultur (FKK) der 20er Jahre werden Ausdruck einer allgemeinen Hinwendung zur Natur und Natürlichkeit, die versucht, in einem neuen romantisierenden Lebensgefühl die Schrecken des Krieges in den Hintergrund zu drängen. Konservative Kreise sahen in den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der "Golden Twenties" eher den Verfall der deutschen Werte, was immer diese auch ausgemacht haben mag.

Die 1920 in den allgemeinen Schulen eingeführte Koedukation von Jungen und Mädchen führte allerdings nicht zu gemeinsamem Sport- bzw. Schwimmunterricht - in den weiterführenden Schulen gilt dies bis heute. Eine Ausnahme mag es in ländlichen Gemeinden gegeben haben. Z.B. gingen bei Schulklassen aus den Dörfern um Staffhorst (heute Samtgemeinde Siedenburg) Mädchen und Jungen zusammen nach Staffhorst in die Badeanstalt.9 In allen Freibädern der Zeit galten streng geregelte, getrennte Badezeiten für Männer und Frauen10. Erst in den 60er Jahren wurden diese aufgehoben. Neuerdings dreht sich das Rad unter dem Aspekt der Frauenemanzipation wieder. Es werden Überlegungen angestellt, für Frauen speziell ausgewiesene Badezeiten anzubieten, damit diese - ungestört von aufdringlichen Blicken - ihrem Badespaß nachgehen können.

Im Nationalsozialismus ging der Ausbau der Badeanstalten unter den damaligen politischen Prämissen beschleunigt weiter. Ob Freiwilliger oder Reichsarbeitsdienst - beide wurden für die Befestigung der Badebecken mit Betonwänden bzw. zum Bau neuer Badeanstalten (Diepholz, Twistringen, Vechta, u.a.) herangezogen. Die Einweihungen vollzogen sich meist unter propagandistischem Pomp. In den kleinen Dörfern wurde bis in die 50er Jahre weiterhin in den ortsnahen Gewässern gebadet. Weite Wege in die Bäder der größeren Orte waren auf Grund mangelnder Zeit (Erntezeit = Badezeit) oder aus verkehrstechnischen Gründen nicht opportun.

In der Nachkriegszeit standen die Zeichen vor allem auf generellem Aufbau. Erst in den 60er Jahren waren genügend öffentliche Mittel vorhanden, um an eine grundsätzliche Sanierung der bestehenden, inzwischen maroden Anlagen zu gehen. Hinzu kamen vielfach, dass die Seen und Gewässer auf Grund fehlender Abwasserklärung bei gleichzeitig gestiegenem Wasserbedarf in den Haushalten und der Industrie zu hoch mit Fäkalien und chemischen Rückständen belastet waren. Außerdem wurden mit der Werbung im Fernsehen ("Persil-Weiß") neue hygienische Maßstäbe gesetzt. All die genannten Gründe führten dazu, dass jeder nur noch das sauberste, gechlorte Badewasser haben wollte. Die von Algen grün gefärbten Naturbäder wurden nun von den Badenden sehr kritisch beäugt und infolge häufig abgelehnt. Die gestiegene Mobilität durch Fahrrad und Auto (vor dem Krieg noch ein Luxus) machte es den breiten Bevölkerungsschichten möglich, weitere Strecken zur nächsten "sauberen" (= "gesünderen") Badeanstalt zurückzulegen. Gemeinden mit noch nicht umgerüsteten Bädern gerieten in Zugzwang und veranlassten ebenfalls Um- bzw. Neubauten.

Mit dem Ausbau der Autobahn "Hansalinie" A1 ab 1960 entstanden entlang der Baustrecke eine Reihe neuer Badeseen, die bis heute als Naturbäder mit steigenden Besucherzahlen genutzt werden. Hierzu gehören z.B. der Heidesee bei Holdorf und der Silbersee bei Stuhr. Mit ihrer Gastronomie, dem Surf- und Badeangebot sowie den zusätzlichen kulturellen Angeboten sind sie heute mit die attraktivsten Badeplätze.

Das Wirtschaftswunder geschah nicht nur finanziell, sondern äußerte sich auch in den sich steigernden Ansprüchen der Bevölkerung. Die ersten Hallenbäder wurden unter dem Motto "Das ganze Jahr baden!" erstellt. Eine besondere Rolle kam dem jetzt in den schulischen Richtlinien fest verankerten Schulschwimmunterricht zu. Viele Gymnasien, z.T. auch Grundschulen, erhielten Lehrschwimmbecken in Hallenbadgröße.

Die 1960er Jahre mit ihrer Aufbruchstimmung beeinflussten das Badeleben besonders durch die sich verändernden Moralvorstellungen. Anders als im Diepholz’schen taten sich die Südoldenburger - vor allem die katholische Kirche - mit dem neuen Zeitgeist sehr schwer. Die "Wasserpredigt" des Dechanten August Wehage aus Friesoythe soll hier exemplarisch genannt werden. Erst der Druck der Medien und der badenden Bevölkerung führten zur verspäteten Einsicht. Heute stört sich niemand mehr an einem Bikini.

1972 entstand durch die Niedersächsische Gemeindereform ein Kuriosum. Viele kleine Gemeinde waren mit hohen eigenen Finanzhaushalten ausgestattet, die dazu ausgenutzt wurden, kurz vor der Eingemeindung in größere Einheiten, noch schnell Hallenbäder zu bauen bzw. Freibäder zu sanieren. So besitzt die Stadt Syke durch die Eingemeindung von Barrien heute zwei Hallenbäder, die den Stadthaushalt durch die hohen Folgekosten stark belasten.

Seit den 1980er Jahren hat eine neue Entwicklung im Badewesen eingesetzt. 1982 baute z.B. die Stadt Vechta ein neues Hallenwellenbad mit Mehrfachrutsche. Die Stadt Diepholz rüstet z.Z. ihr "Delfin"-Bad zu einen Spaßbad um. Vor allem in den Großstädten wie Bremen sind inzwischen große, komfortable Erlebnisschwimmbäder entstanden. Allerdings muß der Besucher auch z.T. sehr hohe Eintrittspreise für sein Badevergnügen entrichten.

Als Gegenbewegung werden vor allem aus Kostengründen immer mehr öffentliche Freibäder auf Naturbäder umgestellt und an Privatpersonen verpachtet, wie z.B. seit 2001 die "Tonkuhle" in Vechta. Mit einem veränderten Umweltbewußtsein der Bevölkerung werden diesen Einrichtungen gute Chancen für die Zukunft eingeräumt.

Bei allen historischen Veränderungen ist aber immer eins gleich geblieben: "Baden macht Spaß"!

Anmerkungen:

  1. Rudolf Edinger: www.ruedesheim.de/freibad/damals/geschwb1.htm vom 01.08.2001
  2. In Diepholz gab es damals Klagen bzw. Verfügungen, kein Holz mehr nach Vechta zu verkaufen. Stadtarchiv Vechta
  3. Siehe Anmerk.1, S.3.
  4. Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang mit dem Aufenthalt Hildegards v. Bingen in Bassum vor 1151.
  5. Siehe auch die vielfältigen Quellsagen in den beiden Landkreisen.
  6. siehe Anmerk. 1, S. 3f.
  7. Dieses Problem taucht immer wieder in den Ratsprotokollen der Stadt Vechta auf. Stadtarchiv Vechta
  8. Siehe Kap.: Statt einer Einleitung, Foto Twistringen.
  9. Siehe Kap. Samtgemeinde Siedenburg
  10. Siehe z.B. Kap. Stadt Bassum, Fotos badende Männer.
 
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